VERNISSAGE


Etage 2 in Rottweil / 07.11.2015

Rede zur Vernissage am 07.11.2015 von Karl Honorat Prestele, Kunsthistoriker / München

Liebe Brigitte Teufel, liebe Familie Merz von der Etage 2, verehrte Vernissage-Gäste, liebe Damen und Herren!

Sie haben ja alle schon einen ersten Blick auf die Bilder dieser Ausstellung werfen können und vielleicht ist es Ihnen dabei genauso ergangen wie mir gestern: Man ist zuerst völlig überwältigt von der optischen Pracht, von der Vielfalt der Farben und Formen, die gleichzeitig auf uns einstürmen. Wenn wir die Bilder von Brigitte Teufel dann eingehender betrachten, spüren wir: Es geht von ihnen etwas Suggestives, ja fast Magisches aus, das mit starker Energie unseren Blick immer wieder anzieht. Auf eine unerklärliche Weise wirken sie uns vertraut und andererseits bewahren sie immer etwas Geheimnisvolles, das man nicht mit Worten packen und erklären kann!

Das ist umso erstaunlicher, als diese Bilder fast ganz abstrakt sind, d.h. es gibt kaum Gegenständliches in ihnen, und eine Art Bild-Konstruktion oder räumliche Darstellung fehlt ebenfalls. Es tauchen zwar immer noch gegenständliche Zitate in ihren Bildern auf, aber diese können nicht mehr Dingen, Schauplätzen oder Situationen zugeordnet werden, die wir aus unserem Alltagsleben kennen. Es sind vielmehr märchenhafte Phantasiewelten, die Brigitte Teufel in ihren Bildern buchstäblich erschafft. Sie lässt durch ihre Malerei etwas erscheinen, was vorher noch nicht da war, nicht existiert hat.

Dabei hat sie sich fast ganz vom Abbildlichen entfernt und unternimmt in ihren Gemälden den Versuch, das Unbeschreibliche, nicht Darstellbare auf die Leinwand zu bannen. Im Gespräch hat sie mir erzählt: „Was ich wahrnehme und empfinde, das kann ich nur malend und in der Kunst ausdrücken, aber ich habe keine Worte dafür.“ Deshalb ist sie ja auch Künstlerin und nicht etwa Schriftstellerin geworden. Beim Malen verlässt sie sich inzwischen vollkommen auf ihre Intuition und persönlichen Gefühle.

In ihren neuesten Bildern sucht sie nicht mehr im Äußeren nach Anregungen und Motiven für ihre Malerei, sondern horcht in ihr Inneres hinein, orientiert sich also an Impulsen, die aus ihr kommen. Sie „sucht“ aber nicht mit Absicht, sondern vertraut voll und ganz auf die Inspiration. Deshalb fehlen in ihren Bildern weitestgehend gegenständliche Motive. Es tauchen zwar geometrische Formen wie Kreise und Rechtecke auf, auch dekorative Elemente wie Punkte oder Linienmuster – aber in rein assoziativer Form: Jeder kann in sie hinein- oder herauslesen, was er will. Ihre Bilder sind Projektionsflächen für unsere eigenen Gedanken und Gefühle.

Und sie sind nicht das Ergebnis konkreter Überlegungen oder gar bewusste Konstruktionen, sie entstehen vielmehr in ihrer Seele, entspringen ihrer Phantasie.

Wie ihre Bilder entstehen, finde ich höchst bemerkenswert und deshalb möchte ich Ihnen dieses Vorgehen kurz schildern, von dem sie selber sagt: „Ich habe keine Ahnung, was passiert!“ Das Einzige, was sie von Anfang an festlegt, sind die Farben, in ihrem Fall immer Acryl, und zwar deshalb, weil es schneller zu bearbeiten ist als Ölfarben – und weil sie für ihre Bilder große Mengen an Farben verbraucht. Aber sie malt nicht mehr klassisch auf der Staffelei, sondern legt jede Leinwand auf den Boden, schüttet die Farben direkt aus dem Behälter darauf und verteilt diese Farben dann mit der Spachtel. Oft fügt sie diesen Farben in mehreren Schichten noch andere Materialien wie Gesteinsmehl, Sand, Asche, Pigmente und Papierteile oder auch Stoffe von Schals oder anderen Tüchern hinzu, sodass viele ihrer Bilder dadurch eine reliefhafte Struktur bekommen. Mit diesem „Farben-Chaos“, wie sie es selber nennt, arbeitet sie dann weiter, indem sie durch Hinzufügen oder Wegnehmen zu Formen gelangt, die sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen versucht, dem das Auge des Betrachters folgen kann.

„Erst das Grobe, dann das Feine“, so könnte man Brigitte Teufels Vorgehensweise beim Malen auf den Punkt bringen. Die feinen Linien und grafischen Elemente werden dann mit Wachspastellen oder einem dünnen Pinsel gezogen – und das ist das Besondere an ihren Bildern: Nicht mehr der traditionelle Pinsel ist das Haupthandwerkzeug für sie, wie seit jeher bei jedem Maler, bei ihr spielt er quasi nur noch eine Nebenrolle! Und die verlaufenden Linien, die Sie in manchen Bildern entdecken können, entstehen ebenfalls ganz einfach: Sie kippt dafür die Leinwand und die flüssige Farbe zerläuft. Brigitte Teufels große Leistung besteht darin, dabei auch den Zufall wirken zu lassen und erst einmal die Kontrolle über das abzugeben, was geschieht – das schaffen nur die wenigsten Menschen! Erst dann greift sie kontrollierend und gestaltend ein und erschafft Zwischenwelten, die es so in der Realität nicht gibt, zwischen Natur und Kunst, Traum und Realität, Materie und Geist.

Was mich bei diesen Bildern hier höchst erstaunt, ist die Tatsache, dass Brigitte Teufel ohne jede Vorzeichnung oder Skizze zu malen beginnt und die einzige Vorauswahl, die sie trifft, ich habe das schon vorhin erwähnt, ist die der Farben. Und dann überlegt sie nicht lange, sondern fängt sofort an. Und wenn sie mit einem Bild nicht weiterkommt, lässt sie es liegen – oft wochenlang – und beginnt einfach ein neues, bevor sie dann irgendwann mit dem alten Bild weiterzukommen versucht. Alle diese Bilder hier wirken ganz spontan und frisch – aber in Wahrheit sind sie das Ergebnis harter und wochenlanger Arbeit!

Und das Allererstaunlichste an allen diesen Bildern hier ist die Zeit ihrer Entstehung! Denn bis auf drei Ausnahmen von Anfang dieses Jahres sind sämtliche 40 Gemälde, die hier zu sehen sind, innerhalb von zwei Monaten entstanden, von Ende August bis Ende Oktober 2015! Das kann nur mit einem wahren Schaffensrausch erklärt werden, in den Brigitte Teufel verfallen ist! Und etwas Rauschhaftes, ja fast Ekstatisches ist in vielen dieser nagelneuen Bilder zu spüren – finden Sie nicht auch?

In ihnen passiert etwas unerhört Neues – und wer die Bilder kennt, die sie bisher gemalt hat, kann fast nicht glauben, dass sie von derselben Malerin stammen! Es wirkt, als hätte sie sich als Künstlerin vollkommen neu erfunden. Da entdeckt man plötzlich eine Kraft und eine Energie in den Linien, Schwüngen, Farben und Formen, die vorher nur unterschwellig da war und die so mächtig scheint, dass sie die Künstlerin nur mühsam ins Bild bannen kann. Hier hat sich eine Dynamik ihren Raum erobert, die wie ein Aufbruch oder Ausbruch, wie eine Befreiung aus Konventionen und Zwängen wirkt, etwas vorwärts Drängendes, von dem man nicht weiß, wohin es führen wird. Hier scheinen neue Möglichkeiten auf, die es vorher nicht gegeben zu haben scheint, nach dem Motto: „Auf ins Neue, Unbekannte!“ Ich würde meinen, hier zeigt sich eine universale Lebensenergie, die alles Lebendige durchpulst und allem innewohnt, was auf Erden existiert.

In diesen Bildern will sich etwas Bahn brechen: eine neue Lust an bunten Neonfarben, an der Vielfalt der Formen und Erscheinungen, eine Lust an allem Existierenden! In den mit Farben, Formen und Mustern gefüllten Flächen „drückt sich für mich alles aus, was im Leben auf mich einstürmt, von dem ich aber nichts missen möchte, aber eben nur angedeutet und nicht realistisch hingemalt“, hat mir Brigitte Teufel im Gespräch erklärt. Sie malt ihre Bilder aber nie ganz zu, sondern lässt auch viele leere Flächen darin stehen – wie wenn sie uns als Betrachter dazu einladen wollte, diese Leerstellen mit unseren eigenen Lebenserfahrungen zu füllen. Wenn Sie so wollen, sind diese Bilder also nicht nur die ganz private und persönlich gemalte Lebenseinstellung der Künstlerin, sondern auch die Projektionsfläche für unser Denken und Fühlen. Assoziationen wie Architekturpläne, Skizzen von Gebäuden, Wohnanlagen, Gartengestaltung usw. sind durchaus erlaubt, sie treffen aber immer nur einen Teilaspekt dieser wunderbar vielschichtigen, aber immer offenen und nie ganz fertigen Bilder.

Brigitte Teufels Bilder sind – und das scheint mir ein wichtiges Prinzip ihrer Kunst zu sein – dual angelegt, d. h. sie zeigt immer die zwei Seiten einer Sache: hell und dunkel, weich und hart, heiß und kalt, klar und vage, greifbar und flüchtig, bunt und farblos, kontrolliert und willkürlich, gedacht und gefühlt – die Reihe könnte unendlich fortgesetzt werden! Denn wir Menschen leben nun mal in einer dualen, polaren Welt, wo es das Eine ohne das Andere nicht geben kann, die Freude nicht ohne Schmerz, das Glück nicht ohne Leid, Heilung nicht ohne Krankheit, das Gute nicht ohne das Böse, das Leben nicht ohne den Tod.

Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat einmal vom dionysischen und apollinischen Prinzip gesprochen, benannt nach den zwei antiken Göttern Dionysos und Apollo. Unter dionysisch versteht Nietzsche alles Überschwängliche, Erregte, Sinnliche, Emotionale, Chaotische, Barbarische und Wilde, und als apollinisch alles Kontrollierte, Gleichmäßige, Geordnete, Vernünftige, Zivilisierte. Der Mensch, sagt Nietzsche, wird erst dann zum wahren Menschen, wenn er beides in sich zulässt, aber im harmonischen Gleichgewicht halten kann. Mir scheint fast, als hätte Brigitte Teufel die Bilder zu dieser philosophischen These gemalt, ohne dass sie sich dessen bewusst war.

Ihre Bilder sind ein Spiegel oder Abbild unserer dualen Welt: Nichts hier auf Erden existiert ohne sein Gegenteil. Diese Welten sind immer schön, aber ihre Schönheit ist flüchtig und zerbrechlich. Alles Existierende muss vergehen und der Beginn jedes Lebens beinhaltet immer schon sein Ende. Brigitte Teufels Bilder zeigen Orte, in denen man sich nicht dauerhaft einrichten, sondern nur zeitlich begrenzt aufhalten kann. „Wir sind nur Gast auf Erden“, heißt es in einem Kirchenlied, und alles hier ist uns nur geliehen.

Diese Bilder spiegeln nach meinem Empfinden geistige Zustände wieder, die nicht abgeschlossen sind. Es sind offene Bilder, sowohl von der Form als auch vom Inhalt her. Und es sind metaphyische Bilder, an der Grenze zwischen Realität und Mysterium: noch an die Materie gebunden und doch schon über sie hinausgehend. Von der Last der Realitäts-Abbildung befreit, scheinen diese Bilder in einer Art Zwischenreich zu schweben.

Brigitte Teufel malt aus dem Gefühl heraus. Und das spürt man in ihren Bildern! Sie wirken deshalb so intensiv, weil sie aus ihrem Innersten kommen. Sie offenbart sich selbst in ihren Bildern, legt offen, was in ihr vorgeht, entweder im momentanen Augenblick beim Malen, oder was sie in ihrem Leben schon erlebt hat und durch die Malerei nun neu belebt.

Für mich sind es gemalte Seelenzustände, die uns eine Ahnung davon vermitteln, dass es noch mehr gibt als das, was wir in unserer materiellen Welt wahrnehmen. Das bewirken vor allem die Farben dieser Bilder. Sie eröffnen Räume, die wir nicht – mehr – auf dieser Erde verorten können. Es sind kosmische Räume, wie ein Blick ins Weltall, ja eigentlich geistige Räume, die nicht mehr an die Materie gebunden sind. Ich bin ein großer Filmliebhaber und ich muss deshalb vor diesen Bildern an einen meiner Lieblingsfilme denken, den Sie vielleicht auch kennen oder schon mal gesehen haben:„2001 – Odyssee im Weltraum“. Sie wissen dann auch, was ich meine: den Flug des Astronauten durch Raum und Zeit.

So kommen mir auch Brigitte Teufels Βilder vor: Sie eröffnen neue, nie gesehene Welten, die wie flüchtige Erscheinungen kurz auftauchen und sichtbar werden – aber nur für einen Moment, der im nächsten Augenblick schon wieder vorbei sein kann. Es sind keine Bilder, die einen solchen kurzen Moment des Daseins für die Ewigkeit fixieren und festhalten wollen, sondern sie zeigen vorübergehende Zustände, die kurz aufleuchten, um dann wieder zu verschwinden – oder sich zumindest wieder verändern und andere Formen annehmen. Mir ist dazu ein Zitat unseres berühmtesten deutschen Dichters eingefallen. In seinem Schauspiel „Faust“ lässt Johann Wolfgang von Goethe den Titelhelden ja bekanntlich eine Wette mit Mephisto eingehen, die darin besteht, dass Mephisto die Seele von Faust dann bekommt, wenn dieser sagt: „Werd‘ ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön!“

Solche Bilder wie diese hier kann nur ein Mensch malen – und davon bin ich zutiefst überzeugt -, der das Leben in allen seinen Erscheinungsformen bejaht und liebt, die Schönheit in allem erkennt, aber auch um deren Flüchtigkeit und Brüchigkeit weiß. Und deshalb schließt Brigitte Teufel in ihren Bildern auch das Dunkle, Schwere, Massive, Überwältigende und vielleicht auch latent Bedrohliche nicht aus – auch wenn viele von ihnen die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit, die Freude am Leben feiern. „Do things you love“, so könnte man diese Haltung auf einen Nenner bringen. Und so heißt ja auch ein Gemälde von ihr hier!

Bevor ich jetzt zu meiner Schlussbemerkung komme – ich habe Ihre Aufmerksamkeit ja schon lange genug in Anspruch genommen -, erlauben Sie mir, dass ich nur noch ganz kurz auf ein paar wenige Bilder im Einzelnen eingehe!

Eines meiner Lieblingsbilder hängt in der Bar: Ich meine die Nummer 1 mit dem Titel „Eingebunden“. Es begeistert mich deshalb so, weil sich hier für mein Empfinden Himmel und Erde, Wasser und Luft (oder der Kosmos), das Flüchtige und das Materielle, das Formlose und die Form miteinander vermählen! Es vereint und verkörpert in meinen Augen geradezu exemplarisch alles, was die Art und Weise und die Qualität von Brigitte Teufels Malerei ausmacht.

Die Künstlerin hat alle ihre Bilder selber gehängt und ihr ist damit, wie ich meine, ein „Gesamtkunstwerk“ gelungen, denn die Architektur und die Räume hier und die Gemälde verbinden sich kongenial miteinander. Im rechten Nebenraum hat sie völlig unbeabsichtigt für mein Dafürhalten durch die Hängung sogar ein verbindendes Thema zustande gebracht. Man könnte die Bilder dort, auch wenn sie andere Titel haben, den vier Jahreszeiten zuordnen: die Nummern 13 und 18 dem Frühling, die Nummer 21 dem Sommer, die Nummern 14 bis 17 dem Herbst, und die beiden schwarzweißen Bilder 19 und 20 mit den Titeln „Vergangenheit hat goldene Ränder“ und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ dem Winter.

Kein Werk aber in dieser Ausstellung hat mich so berührt wie die Nummer 24 hier mit dem Titel „Der springende Punkt“: Der rote Fleck im ansonsten vollkommen schwarzweißen Bild wirkt wie eine Blume oder Blut – wie wenn aus toter Materie neues Leben erwachsen würde! Wer sich dafür öffnen und darauf einlassen kann, den bewegt es wirklich tief!

Es ist eben alles immer eine Frage der Wahrnehmung! Und dazu passt ein Satz, den ich irgendwo mal gelesen habe. Er lautet: „Wir glauben nicht was wir sehen, sondern wir sehen nur, was wir glauben!“ Das heißt, wir nehmen nur das wahr, was wir wahrnehmen wollen. Das gilt vor allem auch für die Kunst!

Diese spezielle Art der Wahrnehmung wünsche ich Ihnen nun bei der Betrachtung der Bilder von Brigitte Teufel und lade Sie ein, diese großartigen Kunstwerke mit allen Sinnen und mit offenem Herzen zu genießen und vielleicht sogar zu erwerben, denn von ihren Bildern kommt man nicht mehr los, wenn man sich einmal ernsthaft auf sie eingelassen hat – und fertig wird man mit ihnen sowieso nicht!

Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre wunderbare Aufmerksamkeit, wünsche dir, liebe Brigitte, und der Ausstellung den größten Erfolg und erkläre sie hiermit für eröffnet! Ich danke Ihnen!

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